Endstation Mülldeponie
Die Müllarbeiter von Mbeubeuss
Sie leben, schuften, sterben in einer der größten Deponien der Welt. Auf einer Fläche von 170 Hektar Größe – so groß wie rund 340 Fußballfelder – versinken die Müllarbeiter von Mbeubeuss im Dreck; schnaufen Staub, Abgase, Rauch ein. 27 km entfernt von der senegalesischen Hauptstadt Dakar befindet sich eine ökologische Zeitbombe!
Was 1968 als kleine Mülldeponie begann, ist heute Lebensgrundlage für Tausende Menschen. Wie dort die Abfallberge in den Himmel ragen und umgeben sind von Müllfeuern, das sieht vulkanisch aus. Der Geruch ist ekelerregend - eine Mischung aus verfallenen Lebensmitteln, Kleidung, verbranntem Kunststoff und Reifen. Angeblich sollen dort auch Kinderleichen liegen, die verzweifelte Mütter nach der Geburt in Dakar in den Müll werfen und die auf dieser Deponie landen. Ein Drama!
Dieses einst so schöne Seengebiet mit idyllischer Grünlandschaft ist zur kahlen Landschaft mit Bergen aus Müll und Exkrementen verkommen.
Trotz verheerender Zustände, tödlicher Unfälle und giftiger Gase ist Mbeubeuss Lebensmittelpunkt für etwa 2 500 illegaler Müllarbeiter und deren Familien.
„Anfangs hat es gestunken. Doch man gewöhnt sich daran“, erzählt Mo, der seid 15 Jahren die Mülldeponie sein Zuhause nennt. Mittlerweile hat Mo eine Frau und zwei Kinder. Auch sie leben mit ihm im Müll. Es ist eine Zusammenrottung von Menschen, die nirgendwo Arbeit finden. Dies in einem Land, in dem jeder Achte arbeitslos ist. Hier führen sie ein desolates Leben, ganz nach dem Motto: „Zuviel zum Sterben, zuwenig zum Leben.“
Die Gründe der hohen Arbeitslosigkeit in Senegal sind komplex. Zum einen verfügt das Land über wenige Rohstoffe. Zum anderen gilt das Klima als große Herausforderung. Es beschränkt den landwirtschaftlichen Anbau, denn der Regen fällt zu unregelmäßig, um die Ernte zu sichern. Die Bewohner sind konfrontiert mit Dürreperioden und Überschwemmungen. Senegal ist von der globalen Klimaerwärmung stark betroffen, was zur Folge hat, dass sich diese extremen Natursituationen weiter verstärken werden. Die Agrarpolitik der EU trägt zur Arbeitslosigkeit im Agrarsektor bei. Denn aus der EU importierte Lebensmittel sind für die Einheimischen günstiger zu kaufen als die der landeseigenen Bauern. Viele Landwirte geben deshalb auf. Als wichtige Einnahmequelle vieler senegalesischer Familien gilt der Fischfang. Etwa jeder sechste Senegalese ist Fischer und ernährt mit seinem Einkommen eine im Durchschnitt vierköpfige Familie. Aber auch diese wichtige Existenzgrundlage ist bedroht. Es kommt zur Überfischung, und den senegalesischen Fischern bleibt weniger.
Zu berücksichtigen gilt auch der Faktor der Bildung. Bildung gilt in Senegal nicht als Allgemeingut, denn die Schule ist für senegalesische Familien teuer. Das führt dazu, dass die arme Bevölkerungsschicht Bildung als Luxus ansieht und sie sich häufig nicht leisten kann oder will. Auch wenn Bildung vorhanden ist, muss das kein sicheres Einkommen bedeuten. Denn dadurch, dass es in Senegal kaum Industrie gibt, kann man sich nicht einfach bei großen Firmen bewerben. Familien mit sehr traditionellen Werten leben nach dem Motto: „Die Frau gehört hinter den Herd“ und wollen nicht, dass sich ihre Töchter bilden.
„Ich durfte nicht zur Schule gehen“, erzählt er, meine Familie konnte das Geld nicht bezahlen und mein Vater hielt es für überflüssig. Es ist schwer in Senegal Arbeit zu finden, vor allem ohne entsprechende Ausbildung. Ich bin stolz, dass ich hier arbeite. Nur so kann ich meine Familie ernähren“, erzählt 35jährige Mo, der aus der Hauptstadt Dakar kommt. Auch er weiß: Die Deponie ist nicht nur Sammelplatz von unterprivilegierten, guten Menschen sondern auch von Kriminellen, die vor der Verhaftung fliehen.
Um von der senegalesischen Regierung Anerkennung und Rechte zu erhalten, haben sich die Müllarbeiter in den späten 1970er Jahren zu der Gemeinschaft „Bokk Diom“ zusammengeschlossen, dem Verband der Müllarbeiter. Dabei ist jeder Tag ein Überlebenskampf: Gefährliche Kollisionen mit rückwärtsfahrenden Müllwägen und giftigen Gasen fordern viele Todesopfer. Schutzausrüstungen, wie Atemmasken, oder sogar Gummistiefel gibt es nicht.
Ihre Einnahmen beziehen die Müllarbeiter aus dem Sammeln, Recyceln und dem Wiederverkauf des Mülls.
In mühsamster Kleinarbeit wird der Müll durchforstet und dann mit Hilfe von Pferden und provisorisch errichteten Anhängern zum Recyceln transportiert.
Dabei sind die Aufgaben unterschiedlich verteilt und die Rangordnungen genau festgelegt: Am untersten Ende der Kette stehen die Sammler – meist Frauen und Kinder. Ihr Arbeitstag besteht aus dem Suchen von Gegenständen, wie etwa Metall und Plastik. Maximal einen Euro pro Tag bringt ihnen der Verkauf des Gesammelten an die Recycler ein. Letztere haben es finanziell gesehen weit besser. Sie sortieren die Materialien und verkaufen sie an ausländische Unternehmen weiter. Dadurch verdienen sie an guten Tagen bis zu zehn Euro, was mehr als das Doppelte des durchschnittlichen Tageslohns in Senegal ist. Den besten Job hat Malik Dialo, der Präsident der Deponie. Er ist einer der ältesten Müllsammler und hat sich in 30 Jahren zum Chef und Überwacher hochgearbeitet.
„Die Menschen hier hoffen auf den großen Fund. Darauf, etwas im Müll zu finden, was ihnen viel Geld bringt, um von der Deponie wegzukommen. Ich selber habe das noch nicht miterlebt. Aber wer weiß“, erzählt Mo, der Arbeiter.
Man glaubt es kaum: In diesem trostlosen Szenario ist auch Fröhlichkeit zuhause! Man inszeniert Normalität, soweit es geht – spielt Fußball, hört Kinder lachen. Man baut sich als Muslime mit rostigen Teilen Gebetsecken und versorgt sich notdürftig mit Infrastruktur. Der Verband „Bokk Diom“ veranlasst den Bau von Schulen und Krankenstationen, die dank finanzieller Unterstützung französischer, belgischer und luxemburgischer Organisationen möglich sind.
Wenn ich fleißig bin, denke ich, es wird in absehbarer Zeit so weit sein. In Senegal braucht man nicht viel, um zu überleben. Doch wenn es keine Arbeit gibt, ist selbst das zuviel“, sagt er leise.
Diese Müllmenschen sitzen auf einer tickenden Zeitbombe – nicht nur für sie selbst. Sollte nämlich Mbeubeuss unkontrolliert bleiben, könnten Land, Wasser und Luft langfristig großflächig verseucht werden. Die bereits bestehenden Gesundheitsprobleme würden sich auf weite Teile der senegalesischen Bevölkerung wie eine Seuche ausbreiten, befürchten Umweltaktivisten. Das Grundwasser in Dakar sei – so Experten – durch diese Riesendeponie bereits stark betroffen. Eigentlich müsste man sie stilllegen! Seit 2008 sorgt die Diskussion über eine Schließung für Zündstoff. Als Lösung schlug die Weltbank vor, eine neue - staatlich kontrollierte - Deponie zu errichten. Mit nur 300 Arbeitsplätzen! Konzepte wurden entwickelt, eine nachhaltige Lösung noch nicht gefunden. Geprägt von Zukunftsängsten, verteidigen die Müllarbeiter energisch ihre Existenzsicherung und kämpfen gegen die Mülldeponie-Gegner an. Und man fragt sich: Wohin auch mit diesen vielen, mittellosen Menschen?
Einige Bewohner werden nur um die 20 Jahre alt, denn das Wohnen am Müll ist nicht nur gefährlich sondern auch extrem krankmachend. Das verschmutzte Trinkwasser sowie die Abgase führen zu Durchfall, Asthma oder sogar Krebs.
„Wir wissen alle, dass Rauch und Asthma für unsere Gesundheit so schädlich sind, doch es gibt keine Alternative“, betont Mo. Deshalb, so meint er, ziehe jeder, der es sich leisten könne, in eine bescheidende Hütte in den umliegenden Dörfern. An Wochenenden würden viele auch heimfahren zu ihren Familien in Dakar, die sie oft mit ihrem Geld erhalten müssten.
Die anderen bleiben zurück: in notdürftigen Lagern, zusammengezimmert aus im Müll gefunden Teilen. Eine kaputte Matratze unter einem Wellblechdach ist ihr Zuhause.
Auch Mo lebt mit seiner Familie not gedrungen in einer dieser Hütten: „ Ich will nicht, dass meine Kinder hier aufwachsen. Wegen der Verschmutzung. Man bekommt Hautausschläge und Wunden. Das kommt vom Staub. Mein Ziel ist es, genug Geld zu verdienen, damit wir außerhalb der Deponie ein Zuhause finden.
Um Platz auf der Deponie zu schaffen und Metall für den Wiederverkauf einzuschmelzen, wird der Abfall verbrannt. Für die Schrotthändler verbrennen die Müllsammler Elektroschrott und Kabel, um so an das begehrte Kupfer zu gelangen.
Immer wieder kommt es zu Bränden, die ein verheerendes Ausmaß annehmen können. So wurde beim letzten bekannten Großbrand im Februar 2018 die Lebensgrundlage vieler zerstört. Denn einige Müllsammler verloren jahrelang gesammelte Rohmaterialien und sowie auch ihre Unterkunft durch das Feuer. Schon 2016 forderte ein Großbrand auf der Deponie nicht nur das Hab und Gut der Müllsammler sondern auch Todesopfer.